Aktionstag für einen sofortigen Waffenstillstand in Gaza – 13.01.24 – Rede von Paul Schobel – FRIEDE IST MÖGLICH – AUCH IN NAH-OST

Ein Krippenbild aus Bethlehem hat mich an Weihnachten bis ins Mark erschüttert: Jesus liegt als Wickelkind keineswegs in „einer Krippe auf Heu und auf Stroh“, wie wir gerne singen, sondern mitten in einem Trümmerhaufen in Gaza. Unter spitzen Baustahl-Zacken und klobigen Beton-Brocken fast verschüttet, liegt es da, eingehüllt in ein schwarz-weiß- kariertes palästinensisches Tuch. „Würde Jesus heute geboren, dann unter den Trümmern von Gaza“, kommentierte der evangelische Pastor von Bethlehem, und spricht mir aus dem Herzen, denn das feiert ja die Christenheit an Weihnachten: Dass unser Gott Mensch wird in tiefster Verlorenheit, sogar in den Ruinen eines verbrecherischen Krieges.

Entsetzlich, was sich da in Gaza abspielt, in diesem Wüstenstrich am Rande des Mittelmeers. Es ist die Hölle auf Erden.

  • Vor den Augen aller Welt wurden am 7. Oktober über 1. 000 Menschen in Israel überfallen, geschändet, vergewaltigt, entführt und ermordet. Himmelschreiende, teuflische Gräueltaten, die man nicht für menschenmöglich hält. Unter den Opfern viele Kinder. Manche mussten zuschauen, wie man ihre Eltern missbraucht, verstümmelt und massakriert hat. Sie sind nun für ihr Leben gezeichnet. Und immer noch bangen Hunderte von Geiseln um ihr Überleben und hoffen auf ihre Freilassung.
  • Vor den Augen aller Welt wütet nun im Gegenschlag der Häuserkampf, werden im Flächenbombardement ganze Quartiere zermalmt und Menschen unter Trümmern begraben. Wer überlebte, den jagte man in den angeblich sicheren Süden, aber auch dort fallen inzwischen Bomben und Granaten. Und schon tobt der schlimmste Killer gegen die Zivilbevölkerung: der Hunger. Eine Million Menschen in Gaza droht akut zu verhungern und zu verdursten. Kinder, Alte und Kranke siechen elend dahin. Die humanitäre Katastrophe schreit zum Himmel.Und darum schreien wir heute zum Himmel: Dieser Aktionstag muss zum gellenden Aufschrei werden gegen diesen verbrecherischen Krieg:
  • Schluss mit diesem abscheulichen Gemetzel! Feuerpause, Waffenstillstand und zwar sofort!
  • Schluss mit den europäischen Waffenlieferungen, und zwar gleich an wen!
  • Schluss mit deutschen Rüstungsexporten!

Und zum tausendsten Mal reklamieren wir einmal mehr, was jeder Krieg immer wieder aufs Neue beweist: Waffen schaffen keinen Frieden. Auch dann nicht, wenn man hinterrücks überfallen wird und verständlicherweise zurückschlägt. Gewalt eskaliert und reißt am Ende alles nieder. Gewalt gleicht dem Schneeball, der zur Lawine wird und ganze Täler verschüttet. Der Krieg, dieser Blödian, ist doch zu nichts anderem fähig, als systematisch Menschen zu töten, Häuser zu zertrümmern und ganze Landstriche platt zu walzen. Wenn Friede werden soll, muss erst Schluss sein mit dem Donner der Kanonen, dem wütenden Gebell der MG ́s, Schluss mit heulenden Granaten und sirrenden Killer- Drohnen. Im ohrenbetäubenden Gebrüll der Waffen kann man nicht aufeinander hören, nicht aufeinander zugehen, geschweige denn sich verständigen.

Was mich als Christ in diesem Krieg umtreibt und fast zur Weißglut bringt: Drei große Religionen sind involviert. Sie haben diesen Krieg nicht unmittelbar ausgelöst, aber ihre Gläubigen spielen mit das garstige „Lied vom Tod“. Und das bedeutet: Sie leben nicht, sie bezeugen nicht, was sie glauben und bekennen. Das bedrückt mich.

  • Mir als Christ liegt es ferne, die Juden, meine älteren Geschwister kritisieren oder im Glauben belehren zu wollen, denn ich verneige mich vor ihnen in Ehrfurcht. Aber dumme Fragen darf man ja als kleiner Bruder stellen:
    Wie war das nochmal – habe ich es recht verstanden: „Aug um Aug, Zahn und Zahn?“ (2. Buch Mose 21,23) – war das nicht die große Errungenschaft, die wir Euch, unseren jüdischen Geschwistern verdanken, nämlich auf die Verhältnismäßigkeit der Mittel zu achten und auf Gewalt nicht unkontrolliert mit Vergeltung zu reagieren? Ein immenser Fortschritt im Rechtsgefüge der Völker von damals, eine erste praktikable Friedensregel, Gleiches allenfalls mit Gleichem zu vergelten und die Eskalation der Gewalt zu stoppen.Doch nun -– wie haltet ihr es damit im Gaza-Krieg, ihr jüdischen Feldherrn? Ihr angeblich Gottesfürchtigen in der rechtsradikalen nationalistischen Regierung in Jerusalem? Wird in diesem Krieg nicht Tag für Tag gegen diese biblische Friedensregel verstoßen und permanent Unverhältnismäßigkeit befohlen und praktiziert? Schon jetzt sind über 22. 000 Tote zu beklagen. 8.000 von ihnen, so wird vermutet, sind Kämpfer der Hamas. Wie kann man den Tod tausender Kinder und Frauen, alter und kranker Menschen mit Schulterzucken einfach als „Kollateralschaden“ in Kauf nehmen?Und überhaupt: Wie haltet ihr es denn generell mit dem Tötungsverbot der Bibel? „Du sollst nicht töten“ (2. Buch Mose 20,13) steht – wie in Stein gemeißelt – in der Gesetzestafel des Mose, in der Thora. Es gilt für Juden und Christen gleichermaßen, denn wir bekennen ja denselben Gott. Krieg aber organisiert und befiehlt systematisch den Tod tausender Menschen.
  • Eine zweite Frage treibt mich nicht weniger um: Sind nicht Isaak und Ismael in der Bibel Kinder Abrahams? Isaak, der Stammvater der Israeliten, Ismael, der Stammvater der Araber und Muslime. Warum schlagen sich die beiden Halbbrüder dann wie einst Kain und Abel permanent die Schädel ein?
  • Diese Frage stelle ich gleichermaßen den Muslimen. Ist nicht auch Eure Religion eine friedliebende? Auch Ihr hofft doch sehnlichst auf Frieden. Vom Propheten selbst ist dieses schöne Friedensgebet überliefert: „O Gott, Du bist der Friede! Von Dir kommt der Friede. Gib, dass wir im Frieden leben. Zeige uns einen Weg zum Verstand und zu den Herzen der Menschen, damit der Krieg unmöglich und der Frieden möglich wird““. (Bittgebet des Propheten Muhammad).Wie kann man zu Gott, dem „Allerbarmer“ beten und gleichzeitig morden, wie es die Hamas und viele andere Verblendete tun? Wie kann man Gott als den großen Gott preisen, wenn man Menschen kleinhackt? Müssten sich die Moscheen nicht viel deutlicher von solchen Gotteslästerern distanzieren?Unvorstellbar, welcher Reichtum sich im Nahen Osten entwickeln könnte, würde die sogenannte „Palästina-Frage“ endlich gelöst. Wirklich „blühende Landschaften“, würden sich Israel und Palästina die Hand zum Frieden reichen: Wirtschaftlicher Reichtum, technisch-wissenschaftlicher Fortschritt. Eine wahre Hoch-Kultur und nicht zuletzt eine immense religiöse Kraft.

Ich will aber nicht mit dem Finger nur auf andere zeigen, sondern zum Schluss vor der eigenen Haustüre kehren: Weite Teile der Christenheit haben immer noch nicht erkannt oder wollen nicht wahrhaben, dass mit Jesus von Nazareth die eigentliche „Zeitenwende“ begann, die Gewaltlosigkeit. Lass deinen Säbel im Futteral, „denn wer zum Schwert greift, kommt durch das Schwert um“, so weist Jesus Petrus, den Sponti an seiner Seite zurecht (Mt 26,52). Die tödliche Eskalation der Gewalt wird erst gestoppt, wenn einer anfängt, aufzuhören. „Schlägt dich einer auf die rechte Wange, dann halt ihm auch die linke hin“ (Mt 5,39).) Das klingt nicht besonders sexy. Normal wärs, dem Angreifer die Fresse zu polieren. Statt dessen Beschämung, Demütigung und Schande. Ja, die Gewaltlosigkeit geht nicht ohne Leiden. Sie verlangt die Bereitschaft, Schläge und Demütigungen einzustecken, ja sogar Besatzung und Unterdrückung hinzunehmen und auszuhalten, um so Blutvergießen zu verhindern. Nur so brechen wir die Logik des Krieges und stoppen die Eskalation der Gewalt.

Beide christlichen Kirchen in Deutschland überspielen den Kern der jesuanischen Botschaft. Jetzt geht es nicht mehr allein um die Verhältnismäßigkeit der Mittel „Aug um Aug, Zahn um Zahn“. Jetzt geht es um etwas ganz Neues, ganz Revolutionäres, nämlich darum, seinen Feinden entgegenzukommen, ihnen die ausgestreckte Hand anzubieten. Die liegen richtig, lesen wir in der Bergpredigt (Mt 5), die es wagen, wehrlos zu bleiben. Den „Sanftmütigen wird das Land gehören“. Und „Kinder Gottes“ sind jene, die Frieden stiften. So nämlich buchstabiert sich die jesuanische „Feindesliebe“.

Ich höre nicht auf, dies zu träumen und darum zu kämpfen, dass Synagogen, Moscheen und Kirchen ihre Friedenskraft bündeln, sich verschwistern, sich verschwören im Kampf gegen den Krieg und für den Frieden.

Der gemeinsame Nenner ist: Krieg darf um Gottes und der Menschen willen nicht sein! Die neue Weltformel lautet: Friede – Schalom – Salam.

Paul Schobel, Betriebsseelsorger i.R., Böblingen