Rede zum Flaggentag der „Mayors-for-Peace“-Städte

Sehr geehrte Frau Dr. Sußmann, liebe Friedensfreunde:innen, liebe Passanten:innen,

im Anschluss an diese Kundgebung wird am Rathaus die Fahne der Bürgermeister für den Frieden aufgezogen. Sie ist ein Zeichen für den Willen zur nuklearen Abrüstung. Sie ruft uns aber auch ins Bewusstsein, dass wir alle unter der ständigen Gefahr der atomaren Vernichtung leben.

Durch den Ukrainekrieg wurde diese Gefahr so akut wie schon lange nicht mehr. Putin hat mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht, eine absolut inakzeptable Ungeheuerlichkeit, die uns sehr wohl schlaflose Nächte bereiten kann.
Umso mehr so als auch die amerikanische Seite nicht deeskalierend agiert. Sie hat verschiedene Verträge zur Rüstungskontrolle gekündigt. Bereits 2002 trat Washington aus dem ABM Vertrag aus um antiballistische Raketenabwehrsysteme errichten zu können, 2019 kündigte Trump den INF Vertrag zum Verbot nuklearer Mittelstreckenraketen in Europa. Im November 2020 verließen die USA den Open Skies Vertrag, der Aufklärungsflüge über dem Territorium der Vertragsstaaten erlaubt, was eine vertrauensbildende Maßnahme war.

Amerikanische Militärstrategen reden schon eine Zeitlang davon, dass ein Atomkrieg beschränkt werden könne und damit führbar werde. Dass dieser beschränkte Atomkrieg in Europa geführt werden soll, ist klar. Die verantwortlichen Politiker schweigen diese rücksichtslosen Wahnsinnspläne „unserer transatlantischen Freunde“ einfach tot. Und wie kann man denn so verblendet sein, dass man die Eskalationswahrscheinlichkeit zu einem großen, alles vernichtenden Atomkrieg nicht sieht.
Außerdem wissen wir ja, dass die Explosion auch nur eines geringen Teils der vorhandenen Atomwaffen so viele Partikel in die Atmosphäre schleudern wird, dass es zu einer atomaren Nacht kommen wird und damit zum Zusammenbruch der Nahrungsmittelproduktion, einer weltweiten Hungersnot und grauenhaften Verteilungskämpfen.

Zum Glück besteht auch das Bewusstsein, für die untragbare Gefährdung alles höheren Lebens auf dem Planeten durch einen Atomkrieg.

  • Schon 1996 entschied der Internationale Gerichtshof in Den Haag, dass der Einsatz von Atomwaffen völkerrechtswidrig ist.
  • 2010 hat der deutsche Bundestag die Bundesregierung aufgefordert für den Abzug aller Atomwaffen aus Deutschland zu sorgen. Wie wir wissen, wurde dieses Votum einfach missachtet.
  • Weltweit haben sich über 8000 Städte den Bürgermeistern für den Frieden angeschlossen.
  • Allein in Deutschland haben 664 Abgeordnete aus dem Bundestag, den Landtagen und dem Europaparlament die ICAN Abgeordnetenerklärung unterzeichnet und Ihre Unterstützung für den am 21. Januar 2021 in Kraft getretenen Atomwaffenverbotsvertrag ausgesprochen.
  • Last but – in einer Demokratie doch hoffentlich- nicht least:
    Laut Umfragen sind 68% der Deutschen für den Abzug der amerikanischen Atomwaffen.

Trotz all dieser Stimmen der Vernunft und obwohl Deutschland den Nichtverbreitungsvertrag unterschrieben und sich verpflichtet hat keine Atomwaffen zu erwerben, hält die Bundesregierung mit Hinweis auf die NATO Strategie an der atomaren Teilhabe fest. Da wäre mir Vertragstreue deutlich lieber statt fehlgeleiteter Bündnistreue!

In den kommenden Jahren wird das Gefährdungspotential der atomaren Rüstung noch erheblich gesteigert werden. Denn weltweit stehen hochbrisante Modernisierungsmaßnahmen an. In Deutschland wurde das, worauf Militärs schon lange drängen, im Windschatten des Ukrainekrieges im Hauruckverfahren beschlossen. Es werden 35 Tarnkappenatombomber angeschafft, im Ernstfall bestückt mit B61-12 Atombomben, die lenkbar und in ihrer Explosionswirkung skalierbar sind, was den vorhin angesprochenen begrenzten Atomkrieg ermöglichen soll. Deutsche Piloten üben den Umgang mit dieser massenmörderischen Fracht. Sie sollen diese im Kriegsfall auch über Russland abwerfen. Für mich persönlich ist diese Vorstellung absolut unerträglich angesichts der 27 Millionen toten Sowjetbürgern, die Deutschland im 2. Weltkrieg verschuldet hat.

Die geltende Doktrin besagt, das Gleichgewicht des Schreckens diene der gegenseitigen Abschreckung und garantiere somit unsere Sicherheit. Mit Neuentwicklungen wie einer sogenannten Enthauptungswaffe und mit Überlegungen zu einem führbaren Atomkrieg ist diese Doktrin endgültig ad absurdum geführt. Ein Atomkrieg rückt in den Bereich des Planbaren und mit schwindenden Vorwarnzeiten steigt auch das Risiko eine Atomkrieges auf Grund eines Fehlalarms, denn Zeit für Rücksprache gibt es nicht mehr.

Darüberhinaus macht uns die Stationierung der amerikanischen Atomwaffen natürlich zur Zielscheibe eines russischen Angriffs. Auch die 2 amerikanischen Kommandozentralen in Stuttgart, das Eukom in Vaihingen und das Africom in Möhringen, werden bevorzugte Ziele eines russischen Atomangriffs sein. Deshalb bitten wir die Stadt Stuttgart dringend – dringendst: Das Engagement gegen die atomare Vernichtung darf sich nicht auf den heutigen Flaggentag beschränken. Setzen Sie sich 365 Tage im Jahr ein für Frieden und Abrüstung, für die Sicherheit der hier lebenden Menschen, für die Schließung des Eukoms und des Africoms.

Atomare Abrüstung wird nicht einseitig erfolgen. Die USA und Russland besitzen jeweils ca. 6000 Atomwaffen. (Russland etwas mehr als die USA). Allerdings verfügt die NATO im Bereich der konventionellen Rüstung schon jetzt über die18-fache Überlegenheit. Dies wird mit der geplanten Aufrüstung auf das ca 20-fache steigen. Bei einem solchen konventionellen Kräfteverhältnis wird Russland nicht auf nukleare Abrüstung eingehen. Das bedeutet atomare und konventionelle Abrüstungsverhandlungen müssen Hand in Hand gehen, damit Aussicht auf Erfolg bestehen kann.

Die derzeitige Aufrüstungshysterie ist eine friedenspolitische Katastrophe. Das Scholz’sche Sondervermögen für die Aufrüstung der BW zementiert den konfrontativen Kurs gegen Russland – und zunehmend auch gegen China – auf Jahrzehnte hinaus. Für uns Bürger wird es zu einer sozialen Katastrophe. Denn wir werden diese Schulden bezahlen mit Sozialabbau, Inflation und Abgaben.

Die weltweite Aufrüstung ist auch eine ökologische Katastrophe:
Moderne Hi-Tech Waffen erfordern eine Vielzahl von Rohstoffen, die in den armen Ländern der Welt abgebaut werden. Es wird ökologischer Raubbau betrieben, Vegetation wird großflächig zerstört, Wasserreserven werden vergiftet, Menschenrechte werden verletzt. Kriege werden zunehmend geführt um die Rohstoffversorgung zu sichern. Aber das Militär verschwendet das, was es sichern soll durch seine Rüstung. Was für eine Absurdität.

Es ist klar, dass der Ausstoß an Treibhausgasen durch militärische Aktivitäten gigantisch ist. Herr Habeck, das Klima wird nicht warten. Die Katastrophen werden kommen. Immer mehr, immer schneller, immer zerstörerischer. Die Industriestaaten führen einen Krieg gegen die Natur, der Millionen Menschenleben fordert und weiterhin fordern wird. Und diesen Krieg werden wir nicht gewinnen und wir werden seine Folgen nicht auf ein auch nur halbwegs erträgliches Maß beschränken, wenn wir nicht endlich das Militär an die Leine legen.

Wir verlangen deshalb von allen Verantwortlichen:
Nehmt endlich Vernunft an! Kapiert endlich, dass die militärische Logik gescheitert ist. Vormachtstreben und -Frau Baerbock- die Vernichtung des Gegners schaffen Hass und Wut und tragen den Keim zukünftiger Kriege in sich. Echte Sicherheit kann nur wachsen auf der Basis von Kooperation und gerechtem Ausgleich.

Im Hinblick auf den Krieg in der Ukraine fordern wir:

  • von Russland einen sofortigen Waffenstillstand,
  • von der NATO ein konsequentes Deeskalationsverhalten statt Waffenlieferungen,
  • von allen Parteien, die Bereitschaft zu eine Verhandlungslösung, die die Sicherheits- interessen aller Beteiligten garantiert.

Von Deutschland fordern wir:

  • den Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrag,
  • daraus resultierend: das Ende der nuklearen Teilhabe und den Abzug der amerikanischen Atomwaffen,
  • eine drastische Reduzierung der Rüstungsausgaben, statt der Erhöhung auf 2% oder sogar 3% des Bruttoinlandsprodukts,
  • eine erneute Verfassungsänderung:
    Weg mit den 100 Milliarden Schulden für den Krieg. Der friedliche Grundcharakter unserer Verfassung muss erhalten bleiben! Denn er wurde 1949 aus gutem Grund festgeschrieben.
  • Gelder für Gesundheit, Bildung, Soziales, den ökologischen Umbau und aber auch für eine partnerschaftliche Entwicklungshilfe, damit alle Menschen ihren gerechten Anteil an den Reichtümern unserer Erde erhalten.

Liebe Mitstreiter, setzen wir uns für diese Ziele ein und lassen uns nicht beirren, denn nicht wir sind die naiven Spinner, sondern die Realitätsverweigerer, die die natürlichen Beschränkungen auf einer begrenzten Erde nicht wahrhaben wollen.

Cornelia Bergmann – Friedenstreff Stuttgart-Nord