Aufruf Gedenkveranstaltung Pogromnacht Cannstatt 2025

Am 9. November 1938 brannten in Deutschland und Österreich die Synagogen. In Stuttgart legte der Branddirektor, in Zivil gekleidet und ausgestattet mit einem Eimer Waschbenzin, selbst den Brand. In Cannstatt war es der Leiter der Feuerwache. In dieser Nacht und den darauffolgenden Tagen wurden jüdische Menschen Opfer von brutaler Gewalt. Geschäfte wurden geplündert, Wohnungen zerstört. Jüdische Menschen wurden verhaftet, misshandelt und ermordet. Fast alle männlichen Stuttgarter Juden zwischen 18 und 65 Jahren wurden verhaftet, auch Kranke und Jugendliche unter 18 Jahren.

Diese Ereignisse waren Vorboten des Holocaust, des grausamen, industriellen Massenmordes an über sechs Millionen Jüd:innen aus ganz Europa.

Achtzig Jahre nach der Befreiung von Faschismus und Krieg wollen wir der Opfer gedenken, aber auch vor einer Politik und einem System warnen, das die arbeitende Bevölkerung entlang von Hautfarbe, Religion, Nationalität, sexueller Orientierung und anderen Merkmalen spaltet und so den Nährboden für die AfD und Neonazis liefert.

Gefahren nicht gebannt – im Gegenteil

Auch heute 80 Jahre nach der Befreiung vom Faschismus gibt es noch immer Antisemitismus. Beschmierte Synagogen und Holocaust-Denkmäler, sowie herausgerissenen Stolpersteine sind hierfür nur einige Beispiele des letzten Jahres.

Rechte Gewalt richtet sich dabei nicht nur gegen Jüdinnen und Juden, sondern gegen Muslim:innen, Geflüchtete, queere Menschen und all jene, die nicht in das Bild der Rechten passen.

Die Hass-Rhetorik nimmt nicht nur in den deutschen Parlamenten immer weiter zu, sondern wird auch auf der Straße sichtbar. Die Grenze des Sagbaren wird durch die AfD und konservative Parteien immer weiter nach rechts verrückt. Die CDU hat im Bundestag bereits mit der AfD kooperiert. Daher ist zu befürchten, dass sie diese auch künftig mit einbezieht und mit ihr regieren wird. Die wachsende Wahlunterstützung für die AfD und der Rechtsruck der etablierten Parteien führen dazu, dass sich Neonazis trauen, immer öfter aufzumarschieren und offene Gewalt ausüben. So gab es im März dieses Jahres in Stuttgart wieder einen Nazi-Aufmarsch. Gerade auch in Cannstatt gibt es seit Mitte 2024 vermehrt rechtsextreme Umtriebe. Beim nichtkommerziellen Kulturzentrum Prisma in der Bahnhofstraße wurden Regenbogenflaggen gestohlen, zerschnitten und verbrannt. Auf der Kulturinsel wurden Hakenkreuze und rassistische Parolen an Wände und auf Gehwege geschmiert. Es bleibt nicht bei Sachbeschädigung, auch verbale und körperliche Angriffe auf Obdachlose und queere Menschen nehmen zu.

Wer gegen Nazis kämpft, kann sich auf den Staat nicht verlassen. Im Gegenteil. Antifaschisten sind mit verschärfter staatlicher Repression und Kriminalisierung konfrontiert. Übergriffe der Polizei auf linken Protest nehmen zu und Blockaden gegen Rechtsextreme werden gewaltsam aufgelöst. Gerichte urteilen Menschen ab, die sich Nazis in den Weg stellen.

Militarismus, Krieg und Rechtsentwicklung

Heute erleben wir weltweit Aufrüstung und Militarisierung. Die Nato hat beschlossen, die militärischen Ausgaben ihrer Mitgliedstaaten mindestens zu verdoppeln. Auch die BRD rüstet auf. Das Geld wird an anderer Stelle fehlen: im Gesundheitswesen, beim Sozialen, beim Klimaschutz und beim Ausbau des öffentlichen Verkehrs. Laut der Merzregierung sei der Sozialstaat nicht mehr finanzierbar. Und für die dadurch erzeugten Verschlechterungen werden dann Geflüchtete, Bürgergeldempfänger:innen und andere zu Sündenböcken gemacht und es wird gegen sie gehetzt. Ein angeblich in wenigen Jahren bevorstehender Krieg Russlands gegen Deutschland und andere NATO-Länder dient dazu, die Bundeswehr zu einer Angriffsarmee im Profitinteresse deutscher Konzerne hochzurüsten und die Wehrpflicht wieder einzuführen.

Es wird eine angebliche Gefahr durch Geflüchtete und Migrant:innen heraufbeschworen, mit welcher die Beschneidung von essenziellen Menschenrechten gerechtfertigt wird. So hat die Bundesregierung vor Kurzem den Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte gestoppt und Grenzkontrollen wieder eingeführt. Selbst an die EU-Rechtslage hält sich Deutschland nicht mehr. Geflüchtete werden illegal an den Grenzen abgewiesen und abgeschoben. Damit werden unzählige Menschen Krieg, Verfolgung und Folter ausgesetzt. 

Gerade die deutsche Geschichte verpflichtet uns zur Solidarisierung mit allen Menschen, die von Verfolgung, Unterdrückung, Krieg und Hunger betroffen sind. Dies schließt auch die Kritik an Krieg, Vertreibung und Völkermord der israelischen Regierung an der palästinensischen Bevölkerung mit ein. Kritik an Regierung, Armee, staatlichen Behörden und kolonialistischen Siedlern Israels hat nichts mit Antisemitismus zu tun.

Wer vom Faschismus redet, darf zum Kapitalismus nicht schweigen!

Der Kapitalismus ist in einer tiefen Krise. Porsche, Daimler, Bosch und Co. vernichten massenweise Arbeitsplätze. Sie senken die Löhne und greifen andere erkämpfte Errungenschaften an. Gleichzeitig zahlen sie im Jahr 2025 nur noch halb so viel Gewerbesteuern wie 2024. Oberbürgermeister Nopper und die Mehrheit im Gemeinderat planen deshalb massive Kürzungen bei den städtischen Dienstleistungen und bei den Investitionen bei gleichzeitiger Erhöhung städtischer Gebühren. Das gefährdet Existenzen! Wir müssen uns mit einem entschlossenen Klassenkampf von unten entgegenstellen, auf der Straße und in den Betrieben.

Gemeinsam für eine Welt des Friedens und der Solidarität 

Die Gewalt gegen jüdische Menschen in Deutschland hat weiter zugenommen. Deutlich mehr Angriffe, gezielte Sachbeschädigungen (z.B. von Stolpersteinen) und Bedrohungen wurden verzeichnet. Das ist für uns als Antifaschist:innen nicht hinnehmbar!

Die Überlebenden des Konzentrationslagers in Buchenwald haben im April 1945 geschworen „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“ ^

Dieser Schwur ist gleichzeitig ein Auftrag: Kämpfe für eine gerechte, friedliche und solidarische Welt, in der nicht die Profite, sondern die Bedürfnisse von Mensch und Natur entscheidend sind. Sorge dafür, dass die Schrecken der Vergangenheit sich nicht wiederholen!

Wir wollen diesen Auftrag wahrnehmen und rufen daher zum gemeinsamen Gedenken am 9. November 2025 auf.

Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!

Dieser Aufruf wird unterstützt von:

Antifaschistisches Aktionsbündnis Stuttgart und Region (AABS); Antifaschistische Aktion Stuttgart – Ortsgruppe der Antifa Süd; DIDF, Freundschafts- und Solidaritätsverein Stuttgart e.V.; DIDF – Jugend Stuttgart; DIE LINKE Stuttgart; DIE LINKE Bad Cannstatt – Mühlhausen – Münster; DKP (Deutsche Kommunistische Partei) Stuttgart; Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba Regionalgruppe Stuttgart; Friedenstreff Cannstatt; Friedenstreff Stuttgart Nord; Groll, Renate und Manfred, Gerlingen; GRÜNE JUGEND Stuttgart; Heckl, Norbert, stv. DGB – Stadtverbandsvorsitzender Stuttgart; Jusos Stuttgart (Jungsozialisten in der SPD), Hofmann, Reiner; organisierte autonomie stuttgart; Schmidt, Wolfgang (Gewerkschaft NGG); SDAJ (Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend) Stuttgart; SÖS, Stuttgart Ökologisch Sozial, ver.di Bezirk Stuttgart; ver.di Ortsverein Stuttgart; VVN-BdA, Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten, Kreis Stuttgart; VÖS, (Vaihingen Ökologisch Sozial); Waldheim Stuttgart e.V. / Clara Zetkin Haus; Waldheim Gaisburg e.V.; Zukunftsforum Stuttgarter Gewerkschaften

Spenden:

  • Die Gedenkveranstaltung wird aus Spenden der aufrufenden und solidarischen Gruppen sowie aus Spenden der Teilnehmer:innen finanziert. Wir bitten um tatkräftige finanzielle Unterstützung und Überweisung auf folgendes Konto:

Ralf Chevalier

Postbank Stuttgart
IBAN: DE36 6001 0070 0217 7477 09
BIC: PBNKDEFF
Stichwort „Gedenkveranstaltung 2025“