Sehr geehrter Herr Bürgermeister Pätzold,
liebe Friedensfreunde und Friedensfreundinnen,
es freut mich, heute nach einem Jahr wieder hier sprechen zu können. Genau vor einem Jahr standen wir hier und übergaben Ihnen Herr Pätzold unseren Vorschlag, dass Stuttgart den Städteappell unterzeichnen möge.
Am 1. Februar wurde er von Oberbürgermeister Fritz Kuhn unterzeichnet, womit die Stadt Stuttgart den Bundestag auffordert, dem 2017 von den Vereinten Nationen beschlossenen Atomwaffenverbotsvertrag beizutreten.
Die Unterzeichnung ist für uns als Friedensbewegung ein schöner Erfolg, da wir damit der bundesweiten Ächtung von Atomwaffen einen, wenn auch kleinen, Schritt näher gekommen sind. In Baden Württemberg folgten dieses Jahr die Städte Heilbronn, Überlingen, Schwäbisch Gmünd.
Es ist höchste Zeit, dass der von einem Großteil der weltweiten Staaten beschlossene Verbotsvertrag gültig wird. In der Zeitschrift „Bulletin of the Atomic Scientists“ schätzten Wissenschaftler in ihrer jährlichen Analyse die Atomkriegsgefahr nur während der Kubakrise höher ein, als sie es aktuell ist. Der Zeiger steht auf 100 Sekunden vor Mitternacht.
Es droht ein neues nukleares Wettrüsten, vermutlich sind wir schon mitten drin. Der INF-Vertrag, der landgestützte atomare Mittelstreckenraketen verbietet, wurde 2019 von der US-Regierung gekündigt, bereits 2002 sind die USA aus dem ABM-Vertrag zur Begrenzung von Systemen zur Abwehr von ballistischen Raketen ausgestiegen und nun droht, dass als letztes der New-Start Vertrag zur Begrenzung von strategischen Atomwaffen am 5. Februar 2021 ersatzlos ausläuft.
Die Modernisierung der rund 20 in der Eifel in Büchel gelagerten US-Atombomben wurde bereits unter US-Präsident Barack Obama beschlossen.
Jede dieser Bombe hat eine mehrfache Sprengkraft der Hiroshima-Bombe. Doch das ist nicht genug. Die neuen lenkbaren, intelligenten Bomben haben offensichtlich die Fähigkeit sehr präzise tief in die Bunkerzentralen des Gegners einzudringen, um bei verringerter atomarer Verwüstung an der Erdoberfläche die zentralen Kommandostrukturen zerstören zu können.
Sie sollen effektiver sein und es wird befürchtet, dass die Schwelle für den Einsatz von Atomwaffen damit sinkt und ein atomarer Erstschlag in Verbindung mit der Zerstörung der Zweitschlagfähigkeit des Gegners ermöglicht werden soll.
Wie die meisten wissen, werden diese Atomwaffen im Kriegsfall im Rahmen der sogenannten „Nuklearen Teilhabe“ von deutschen Soldaten in Bundeswehr-Tornados abgeworfen.
US-General Tod D. Wolters erklärte im Februar diesen Jahres bei einer Anhörung im Verteidigungsausschuss des US-Senats: „Frau Senatorin, ich bin ein Befürworter des flexiblen Ersteinsatzes von Atomwaffen.“
Weshalb ist es für uns wichtig, was irgendein US-General sagt? Das liegt daran, dass Wolters Oberkommandierender der NATO und Kommandeur des Eucom in Stuttgart ist. Er ist zuständig für alle Manöver und Kriegshandlungen in Europa. Bis an die Grenze von Russland zu Nordkorea. Stuttgart wäre primäres Erstschlagsziel, sobald Russland auch nur annehmen muss, dass es zu einem enthauptenden Angriff kommt. Sinngemäß nachzulesen in den neuen russischen „Grundlagen der nuklearen Abschreckungspolitik“.
Wir in der Friedensbewegung betrachten es daher nicht als Verlust, wenn die US-Armee das Eucom schließt und die Soldaten abzieht. Es ist vielmehr eine Chance in den alten Kasernengeländen Wohngebiete zu schaffen, die sozialen und ökologischen Vorbildcharakter haben. Selbstverständlich dürfen die US-Amerikaner*innen ohne ihre Waffen gerne hierbleiben und mit einziehen.
Die Bundesregierung plant den Kauf neuer Kampfflugzeuge. Diese dienen auch dem Einsatz von US-Atomwaffen und ersetzen das Tornado-Flugzeug, das alt ist und für die neuen Atombomben in Büchel nur bedingt tauglich sein wird. Damit rückt der Abzug der in Deutschland stationierten US-Atombomben in weite Ferne und die Fähigkeit Deutschlands, sich an einem Atomkrieg zu beteiligen, bleibt für Jahrzehnte erhalten. Es handelt sich hierbei um ein milliardenschweres Rüstungsprogramm, dessen Mittel vielmehr im Bildungs- und Sozialbereich sowie zum Bau kostengünstiger Wohnungen benötigt werden. Die Friedensbewegung lehnt den Kauf neuer Kampfbomber ab.
Gegen den neuen Atombomber und für die Beendigung der „Nuklearen Teilhabe“ gibt es auch in der Bundesregierung Widerstand bis in die Führung der SPD. Die Friedensbewegung begrüßt, dass 24 baden-württembergische Abgeordnete im Bundestag und 29 im Landtag die ICAN-Erklärung für Abgeordnete zur Unterstützung des Verbotsvertrags von Atomwaffen unterzeichnet haben.
Atomwaffen erhöhen nicht die Sicherheit in Europa, wie die Bundesregierung uns weis machen will, sondern gefährden sie.
Wir in der Friedensbewegung lehnen jegliche Atomkriegsoptionen ab, aber auch konventionelle Militäreinsätze zur Freihaltung von Handelswegen und zur Sicherung von Rohstoffen und Absatzmärkten, wie es schon seit 1992 in strategischen Papieren wie den Verteidigungspolitischen Richtlinien steht.
Damit diese friedenspolitischen Bekenntnisse der Städte, Landkreise, Landtage und Abgeordneten ihre Kraft entfalten können , muss die Unterschrift unter den Städteappell durch den Oberbürgermeister auch offensiv bei den Stuttgarter und Stuttgarterinnen bekannt gemacht werden.
Denn es braucht eine breite gesellschaftliche Bewegung, um Atomwaffen aus unserem Land und von der ganzen Welt zu verbannen.
Wir würden es uns wünschen, dass der Städteappell auch im Stuttgarter Gemeinderat und in den Städten und Landkreisen in der Region diskutiert wird.
Dies sollte speziell am Standort des Eucom auch bei der Oberbürgermeisterwahl im Herbst ein wichtiges Thema sein.
Stuttgart als Mitglied von „Mayors for Peace“ könnte seine Städtepartnerschaft mit der russischen Stadt Samara zu einer Friedenspartnerschaft ausbauen. 75 Jahre nach der Befreiung von Faschismus und Krieg, die den Bürgern der Sowjetunion am meisten Opfer abverlangt hat, sollten wir Stuttgarter und Stuttgarterinnen laut und deutlich machen: Wir wollen kein drittes Mal einen Krieg gegen Russland und wir werden alles dafür tun, dies zu verhindern.
Nur ein System kollektiver Sicherheit jenseits von nationalen Wirtschaftsinteressen auf Augenhöhe mit den anderen Staaten kann dies gewährleisten.